Erding: Frau und Technik verträgt sich gut

2022-07-22 09:28:34 By : Mr. kyler Wu

Die Firma Huber Technik in Erding produziert Gummimatten und Förderanlagen. Dass Frauen was von Technik verstehen, beweist der Familienbetrieb seit Jahrzehnten.

Erding – Weibliche Führungskräfte in Unternehmen sind nicht nur bundesweit, sondern auch in Erding rar gesät. Die Firma Huber Technik ist hier eine Ausnahme. Seit Jahrzehnten leitet Heidi Huber-Kamm gemeinsam mit ihrem Gatten Paul Kamm die Geschäfte an der Robert-Bosch-Straße. Mittlerweile stehen auch die Töchter Veronika und Johanna Kamm in der Verantwortung.

Gummierzeugnisse und Fördersysteme – das sind die beiden Standbeine von Huber Technik. Mit 110 Mitarbeitern zählt das Unternehmen, das 2025 sein 100. Jubiläum feiert, zu den großen Mittelständlern in der Stadt. In den Produktionshallen im Industriegebiet an der Robert-Bosch-Straße werden Fördersysteme etwa für die Recycling-, Ziegel-, Tabak- oder Küchenindustrie konstruiert und gebaut – „reine Sonderanfertigungen“, wie Heidi Huber-Kamm betont: „Alles auf Kundenwunsch.“ Und der ist vielfältig: Das mit 220 Metern längste Förderband aus Huberscher Produktion steht in einer Kläranlage in Dubai, das kleinste in einer Käserei in Moosburg.

Das zweite Standbein des Betriebs sind Gummierzeugnisse. Aus nicht vulkanisiertem Reifenmaterial, das bei der europäischen Reifenproduktion anfällt, werden in mehreren Schritten Gummimatten gefertigt, wie sie in unzähligen Kuhställen weltweit zu finden sind. Der Werbeslogan heißt deshalb: „Kühe steh’n auf Huber“.

Zunächst zerkleinert ein Scherautomat – „er funktioniert wie eine Guillotine“, so Huber-Kamm – das Material, dann wandert es in den Kneter. Unter Zugabe von diversen Zutaten wird die Masse „zu einem homogenen Teig“, wie Huber-Kamm beim Rundgang durch die Produktionshallen für den Laien anschaulich erklärt. Der so entstandene Gummikloß wird weiter auf diversen Walzwerken durchgearbeitet – bis schließlich der Kalander am Ende des Rohbetriebs der Mischung quasi den letzten Schliff verpasst.

Gabelstapler bringen die Rollen anschließend zu den Vulkanisationspressen. Dort werden sie bei bestimmtem Druck und bestimmter Temperatur vulkanisiert. „Alle Pressen werden dampfbeheizt“, erklärt Huber-Kamm. Ein Kesselwärter sorgt dafür, dass keine ausfällt. Denn die beständige Produktion ist ein Schlüssel des Firmenerfolgs.

„An den Pressen werden die verschiedenen Geometrien durch Formen auf den Gummi eingepresst“, beschreibt Huber-Kamm die nächsten Schritte. So entstehen die unterschiedlichen Böden für die Rinderställe. Es sind immer Rollen – „das ist die Spezialität der Huber-Böden“. Es gibt das reine Gummisystem, ein Gummi-Verbundschaumsystem, das Liegebox-Weichbett und Böden für den Laufgang und den Melkstand.

Heidi Huber-Kamm (60) hat die Firma einst von ihrem Vater Anton übernommen – ungewöhnlich in einer Männerdomäne. Aber: „Ich hab’ mich schon immer für die Gummiproduktion interessiert und in den Ferien im Betrieb gearbeitet“, erzählt die Wirtschaftsingenieurin.

Auch ihre Töchter sind quasi im Betrieb aufgewachsen, feierten bei Firmenfesten mit und begleiteten die Eltern schon in jungen Jahren auf die „Euro Tier“, die weltweit größte landwirtschaftliche Messe für Tierhaltung, die alle zwei Jahre in Hannover stattfindet.

Ehemann Paul Kamm kommt ebenfalls aus der Branche. Als Heidi Huber-Kamm 1987 ein Praktikum „bei der Konkurrenz“ machte, lernte sie den Chemiker kennen. Dann ging alles ganz schnell. Ein Jahr später heirateten die beiden, Paul Kamm stieg in die Betriebsleitung ein. Seine Frau kümmerte sich zunächst um die Kinder. Als ihr Vater Anton 1999 mit nur 72 Jahren starb, stieg sie in die Geschäftsführung ein.

Die Töchter sind „zufällig hineingerutscht“, wie Veronika Kamm (29) erzählt. Sie hat Betriebswirtschaft studiert und bei Praktika in verschiedenen Firmen erkannt, dass es Vorteile hat, wenn man sein eigener Herr ist. Für sie ist es ein Privileg, den Betrieb zu übernehmen. „Es wäre schade, wenn man das nicht nutzt.“

Ihre Schwester Johanna Kamm (28) sieht es ähnlich. Sie hat in Passau Jura studiert und Berufserfahrung bei einem Ingenieur-Dienstleister gesammelt. Bruder Sebastian (33) dagegen hat sich der Kunst verschrieben und arbeitet als Regisseur. Er habe schon als Kind gesagt: „Den Betrieb übernehmen mal meine Schwestern.“

Sie und ihre Mutter kennen das Klischee, dass Frauen keine Ahnung von Technik haben, und treten gerne den Gegenbeweis an. „Hier muss in der Gesellschaft noch ein großes Umdenken stattfinden“, sagt Huber-Kamm. Dafür setzt sie sich seit vielen Jahren auch überregional ein. Sie gehört dem Präsidium der Metall-Innung München an. Veronika Kamm wurde in den IHK-Regionalausschuss Erding-Freising gewählt. Johanna Kamm sitzt im Tarifausschuss der Metall-Innung.

Im Unternehmen ist Veronika Kamm für Gummierzeugnisse und Buchhaltung zuständig, Johanna für Maschinenbau, rechtliche Angelegenheiten und Verträge. Gemeinsam kümmern sie sich um die Mitarbeiter. Auch ihre Eltern haben die Aufgabenbereiche abgesteckt. Allerdings „war es stets der Anspruch, von allem was zu wissen, damit man überall mitreden kann“, betont die 60-jährige Geschäftsführerin.

Sie sieht die Akademisierung der Berufsausbildung und den damit verbundenen Fachkräftemangel im Handwerk kritisch. „Derjenige, der dreckig wird, ist nichts mehr wert“, sagt sie: „Das ist traurig.“ Auch deshalb bildet Huber Technik seine Facharbeiter selbst aus – in sechs Berufen. Jedes Jahr kommen vier bis fünf neue Lehrlinge dazu. „Wir bilden so viele aus wie wir übernehmen können“, betont Heidi Huber-Kamm. Viele bleiben.

Die Belegschaft ist international. Viele der 100 Mitarbeiter in der Produktion kommen aus Osteuropa und der Türkei, einer aus Ägypten. Sie bewerben sich über Mund-zu-Mund-Propaganda, etwa weil bereits Familienmitglieder hier arbeiten. „Sie werden angelernt. Das funktioniert gut“, sagt Huber-Kamm: „Wir sind offen für alle Nationen und Glaubensrichtungen.“

Dass die Zukunft des Unternehmens gesichert ist, freut Heidi Huber-Kamm. Ihre Töchter hätten den Anspruch, „die Firma vorwärts zu bringen, vor allem bei der Digitalisierung. Ich find’s klasse.“ Einiges wurde schon umgebaut, die Einführung eines Dokumenten-Management-Systems steht bevor. „Wir wollen papierlos werden“, erklärt Johanna Kamm.

Die Zusammenarbeit in der Familie klappe gut. Dabei sei es „ganz normal, wenn man mal einen anderen Standpunkt hat“, sagt Veronika Kamm. Und ihre Mutter betont: „Unser Anspruch als Eltern ist, sie nicht zu blockieren.“

Deutschlandweit ist Huber Technik einer von nur zwei Gummiproduzenten: „Unser Vertriebsnetz beliefert Landwirte von Nordamerika über Westeuropa bis nach Schweden und Weißrussland“, sagt Huber-Kamm. Man stehe auch „in Geschäftsbeziehung mit Russland, Belarus und der Ukraine“. Der Krieg dort führt aktuell dazu, dass große Projekte, die für heuer anvisiert waren, nicht umgesetzt werden können. „Tatsächlich hatten wir Anfang Februar noch eine Delegation aus der Ukraine hier in Erding zu Besuch, die sich für unsere Gummibeläge für ihre Ställe entschieden hat. Auch dieses Geschäft wird jetzt erst mal nicht stattfinden können“, sagt Huber-Kamm.

Dass es ihr und ihrer Familie um viel mehr geht als um die wirtschaftliche Zusammenarbeit, zeigt sich darin, dass sie dem Landratsamt Erding bereits angeboten hat, Wohnraum für ukrainische Flüchtlinge zur Verfügung zu stellen.

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