Münchner-Merkur-Chefredakteur Georg Anastasiadis zu Arbeitsbesuch auf dem Hof der Zukunft in Königsdorf

2022-07-22 09:28:36 By : Ms. Joy Cao

Die Welt ist im Umbruch und die Landwirtschaft sowieso. Chefredakteur Georg Anastasiadis hat einen Landwirt besucht, der Lösungen für die zahlreichen Probleme der Gegenwart erprobt: Franz Demmel aus Schönrain – der Zukunftsbauer.

Schönrain – Ein Frühlingstag im Jahr 2022. Am Huabahof in Schönrain, Gemeinde Königsdorf, lassen es die Kühe ruhig angehen. Sie fressen, dösen, und hin und wieder bewegt sich eine Richtung Melkroboter. Wir sind mit Franz Demmel (51) verabredet, dem Visionär einer Branche, die es aktuell nicht leicht hat.

Georg Anastasiadis: Herr Demmel, ich habe mir gerade Ihre Tiere angeschaut. Denen scheint es blendend zu gehen. Sie haben viel Platz, und eine hat sich genüsslich an der Bürste gekratzt.

Franz Demmel: Wir bieten unseren Kühen einen gewissen Komfort. Tierwohl ist das A und O. Eine Frage an den Journalisten: Wie viel geben die meisten Menschen für ihre Matratze aus?

Anastasiadis: Die billigsten fangen meines Wissens bei 200 Euro an.

Demmel: Die Matten für unsere Kühe kosten knapp 300 Euro pro Stück. Sie bieten viele Vorteile, die Tiere können sich mit den Knien drauffallen lassen und kriegen keine Druckstellen. Aber der normale Landwirt kann sich das nicht leisten. Auf dem Markt lassen sich nicht die entsprechenden Preise erzielen.

Anastasiadis: Wie können Sie sich das leisten?

Demmel: Ein wichtiger Punkt. Ich verdiene als Diplom-Ingenieur und Architekt ganz gut und bin wahnsinnig genug, den Gewinn hier reinzubuttern. So, in dieser Form, wird das kaum ein Bauer 1:1 nachahmen können. Aber vielleicht sind Anregungen dabei. Es ist wie ein Blumenstrauß, wo sich jeder was rauszupfen kann.

Anastasiadis: Was haben Ihre Tiere da für einen Chip am Fuß?

Demmel: Das ist ein sogenannter Pedometer. Er misst die Meter, die die Kuh macht. Wenn eine sich kaum mehr bewegt, schauen wir sie uns gezielt an, ob sie krank ist. Wenn sie sich mehr als normal bewegt, ist sie wahrscheinlich brünstig. Die Tiere an meinem Hof können sich vollkommen frei bewegen. Sie gehen zum Melken, wenn es ihnen passt, und sie gehen auf die Weide, wann sie wollen.

Anastasiadis: Schon unglaublich, was Sie da für einen Hightech-Hof haben.

Demmel: Die Technik spielt eine wichtige Rolle, ja. Bei uns läuft alles automatisch, vom Futterschieber und dem Spaltenreiniger bis zum Melkroboter. Die Energie dafür produzieren wir auch selbst, über die Photovoltaikanlage auf unserem Dach, wir sind fast autark. Unser großes Anliegen ist es, auf unserem Hof Technik, Tierwohl und Nachhaltigkeit unter einen Hut zu bringen. Ich sage immer: Entweder finden wir als Leuchtturmprojekt Nachahmer oder wir enden als Mahnmal einer gescheiterten bäuerlichen Landwirtschaft. Dann wird es heißen: Mei, da hat halt einer gesponnen.

Anastasiadis: Wie würden Sie die Situation des normalen, konventionellen Landwirts beschreiben?

Demmel: Ganz einfach. Er steht mit dem Rücken zur Wand, und das schon seit langer Zeit. Das ganze System ist aus der Balance geraten. Es gibt viele Interessensgruppen, die davon profitieren, dass die Lebensmittel so billig sind. Ist doch super, wenn Milch, Butter und Fleisch fast nichts kosten. Außer für den Bauern.

Anastasiadis: Um wie viel sollte der Preis für den Verbraucher steigen?

Demmel: Wenn wir tun, was für Umwelt und Klima am besten ist, müssten die Produktpreise um 50 Prozent steigen. Diese Art der Landwirtschaft ist enorm aufwendig.

Demmel: Fällt Ihnen was auf?

Anastasiadis: Es riecht gar nicht nach Kuh.

Demmel: Genau, wir haben nicht den üblichen Stalldampf. Für das gute Klima sorgen die Ventilatoren, die Seitenjalousien und das Dach aus Fichten- und Lärchenholz, das außerdem auch noch CO2 speichert.

Anastasiadis: Wie viel an Förderungen durch den Freistaat steckt hier drin?

Demmel: Null, leider. Bis auf die Ladestationen für E-Autos, die Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger vor einiger Zeit spendiert hat, gar nichts. Das ist es ja, was ich kritisiere: Es genügt nicht, wenn Politiker immer nur von Ressourcenschonung und Klimaschutz reden, sie müssen auch Geld in die Hand nehmen. Nichts gegen das teure Förderprogramm zur Wiederansiedlung des Bartgeiers, aber das hier ist auch wichtig. Es scheint kaum jemandem klar zu sein, was ein Landwirt leistet. Oder besser: leisten könnte. Es ist der unterschätzteste Beruf überhaupt.

Anastasiadis: Also nicht nur Nahrungsmittelproduzent?

Demmel: Der Landwirt hat gesellschaftliche Aufgaben ohne Ende, Artenschutz, der Erhalt der Kulturlandschaft, Baukultur, Gewässerschutz, Energieerzeugung. 80 Prozent der Fläche in Bayern dienen der Land- und Forstwirtschaft. Aber ich habe den Eindruck: Keiner kapiert, welches Potenzial da brach liegt. Aber dazu gleich mehr.

Demmel: Wir befinden uns jetzt im Hirn unseres Hofs, im Serverraum.

Anastasiadis: Was sieht man auf den Bildschirmen?

Demmel: Hier laufen alle Steuerungen zusammen. Man sieht, wer gerade wie viel Strom verbraucht. Unser Energiemanagment-System sorgt dafür, dass der Strom richtig verteilt wird. Es gibt Dinge, die warten können, etwa die Güllepumpe. Die läuft, wenn die Photovoltaik-Anlage mittags Vollgas gibt. Aber der Melkroboter muss immer laufen.

Anastasiadis: Der Landwirt als Energie-Erzeuger. Kann das ein Modell für die Zukunft sein?

Demmel: Davon bin ich fest überzeugt, und das lässt sich auch relativ leicht durchrechnen. Es gibt in Bayern etwa 30 000 Höfe. Wenn auch nur ein Drittel von ihnen, also 10 000, so viel Strom produziert wie wir, dann kommen wir stundenweise bei Lastspitzen von 2500 Megawatt raus. Und das entspricht dem, was die Atomkraftwerke Isar 1 und 2 produzieren! Und zwar zusammen. Das sind die ungehobenen Potenziale, die ich meine. Und wir reden im Moment vom Fracking! Man möchte im Boden versinken.

Anastasiadis: Was droht unserer Landwirtschaft, wenn sich nichts ändert?

Demmel: Man muss nur nach Russland oder nach Amerika schauen. Was man da sieht, sind Agrarwüsten. Da holt man mit Chemie aus dem Boden das Maximale raus, solange es eben funktioniert. Das Perverse ist ja, dass sich diese ökologisch katastrophale Vorgehensweise wirtschaftlich rechnet.

Anastasiadis: Haben Sie vielen Dank für die Führung über Ihren Hof, Herr Demmel. Ich bin sehr beeindruckt. Was treibt Sie an, einen solch außergewöhnlichen Hof zu führen?

Demmel: Die Grundmotivation ist die Sorge um die Welt, in der meine Kinder und Enkel leben werden. Ich sehe es durchaus global: Wenn es so weitergeht, machen wir den Planeten kaputt. Wenn unsere Generation später einmal gefragt wird: „Habt Ihr nichts gemerkt?“, dann möchte ich antworten können: „Wir haben uns mit allen Möglichkeiten dagegengestemmt.“

Anastasiadis: Die Welt erlebt gerade einen Krieg, der die Parameter auch für die Landwirtschaft neu definiert. Ist dieser Krieg bei aller Tragik auch eine Chance?

Demmel: Die Landwirtschaft kriegt wie alle Lebensbereiche die negativen Konsequenzen zu spüren, Stichwort Dieselpreis. Der macht natürlich auch uns Landwirten viel zu schaffen. Es gibt aber momentan auch diesen Hallo-wach-Effekt, dass Eigenversorgung enorm wichtig ist. Es ist höchste Zeit, die europäische Agrarpolitik neu anzugehen.

Anastasiadis: Wo würden Sie ansetzen?

Demmel: Man müssten eine ehrliche Eröffnungsbilanz machen, die vor allem zeigt, wie viele Menschen in Zukunft ernährt werden müssen. Ich persönlich gehe von 550 Millionen in Europa aus, wenn man die zu erwartenden Fluchtbewegungen mit einrechnet. Und dann müsste man überlegen, wie man vorgeht. Nur bio wird es nicht gehen, wir brauchen auch die konventionelle Landwirtschaft.

Anastasiadis: Die Grünen sagen, dass die Getreideknappheit furchtbare Folgen für die Dritte Welt haben wird. Wir sollen den Fleisch- und Milchkonsum reduzieren, damit das Getreide zu den Menschen in Afrika kommt und nicht in die Tiermägen. Stimmen Sie zu?

Demmel: Es steht außer Frage, dass es sinnvoller ist, weniger Fleisch zu essen. Aber die Pauschalisierung hilft uns nicht weiter. Im Grünlandgürtel wie bei uns im Tölzer Land geht ohne Tiermägen nichts. Über ihn wandeln wir Gras in Milch und Fleisch um. Das ist inzwischen auch bei Landwirtschaftsminister Özdemir angekommen.

Anastasiadis: Sie haben vorhin von Leuchtturm oder Mahnmal gesprochen. Hand aufs Herz: Geht es aktuell in Richtung Leuchtturm oder Richtung Mahnmal?

Demmel: Im Moment bin ich nicht optimistisch. Es muss noch viel Überzeugungsarbeit geleistet werden. Aber noch ist es Zeit aufzurütteln.

VON VOLKER UFERTINGER (TEXT) UND MARCUS SCHLAF (FOTOS)

Schönrain – Franz Demmel (51) führt den Huabahof in der zehnten Generation. Er war Eishockey-Profi für die Kölner Haie und die Tölzer Löwen und hat Technischen Umweltschutz studiert. 2019 entschied er sich, einige hundert Meter vom ursprünglichen Hof entfernt einen neuen, möglichst tier- und umweltfreundlichen Milchviehstall zu bauen, der CO2-neutrale Rinderhaltung ermöglicht.

Zusammen mit seiner Frau Gerlinde, Tochter Kathi und Sohn Xaver führt er den Familienbetrieb. Hier ein paar Beispiele, was den Betrieb einzigartig macht.

- Für die Stallkonstruktion, das Dach und die Fassade hat Demmel Fichten- und Lärchenholz verwendet. Die massiven Holzplatten sorgen dafür, dass sich der Stall im Sommer nicht aufheizt. Für einen zusätzlichen Dämmeffekt sorgen die Ziegel sowie die Photovoltaikanlage auf dem Dach.

- Der Laufstall ist 55 Meter lang und 30 Meter breit. Der First hat eine Höhe von 10,55 Meter. Die Lauffläche besteht aus Beton und Gummi. Unter dem Stallboden befinden sich Gummiklappen mit einem schmalen Schlitz, die sich nur öffnen, wenn Gülle kommt. Dann zieht sich der Gummi wieder zusammen. So werden bis zu 60 Prozent der Ammoniak-Emissionen reduziert. Ein Spaltenroboter reinigt den Boden und trägt dazu bei, dass die Klauen der Kühe gesund bleiben.

- Das Melken übernehmen zwei Roboter. Seit dem Umzug in den Stall im März 2020 geben sie deutlich mehr Milch. Am Tag unseres Besuchs hat Kuh Minosch 46 Liter gegeben, sehr viel für eine Biokuh. Eine Mastitis, also eine Euterentzündung, kommt nur sehr selten vor.

- Am Huabahof fahren alle Fahrzeuge elektrisch, bis auf die Traktoren. Dazu gehören die E-Hoflader, ein E-Radlader sowie der E-Futtermischwagen. Den Prototyp eines E-Traktors hat Xaver Demmel kürzlich ausprobiert und gute Erfahrungen gemacht. Franz Demmel würde sich wünschen, dass die Hersteller ihre Fahrzeuge bidirektional bauen, sprich: be- und entladefähig. Das würde es ermöglichen, landwirtschaftliche Maschinen als mobile Speicher zu nutzen.

- Den benötigten Strom produzieren die Demmels mit der Photovoltaikanlage fast ausschließlich selbst. Das sind an die 300 000 Kilowattstunden pro Jahr. Ein stationärer Lithium-Ionen-Akku speichert den Sonnenstrom und verteilt ihn je nach Bedarf auf die Maschinen und Geräte. Den meisten Strom verbrauchen die Melkroboter, rund 20 Kilowattstunden am Tag. Auch die Milch kühlen die Demmels mit Sonnenstrom.

- Die Familie hofft, dass bald auch andere Landwirte auf den E-Zug aufspringen. Ihre Vision ist es, ein regionales Energienetz aufzubauen. 10 000 Höfe könnten 2500 Megawatt Strom erzeugen.

- Beim Bau seines Milchviehstalls hat Franz Demmel mit der Wissenschaft zusammengearbeitet, und zwar mit der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf und der TU München. Der Huabahof ist Partner der Initiative „Stall 4.0 – Cow Energy“. Gemeinsam entwickelte man einen Prototyp des Energie-Management-Systems, das den mit der Photovoltaikanlage erzeugten Strom intelligent verteilt. „Je nachdem, was gerade anliegt, schafft das System Prioritäten“, erklärt Prof. Jörn Stumpenhausen. Der Melkroboter etwa muss ständig laufen, die Viehbürste jedoch nicht. Doch der Strom dient nicht nur dem Betrieb des Bauernhofs, sondern kann etwa zur Hälfte auch ins Netz eingespeist werden. Demnächst soll das in Schönrain erprobte Prinzip auf weitere Höfe übertragen werden, etwa einen Hopfenanbau-Betrieb.

Stumpenhausen ist überzeugt, dass viele Landwirte mitziehen würden, aber: „Von einer unbürokratischen Regelung sind wir weit entfernt.“ Der Huabahof sei „weltweit einzigartig“ und allseits bekannt. „Den kennt man auch in St. Petersburg und Peking.“