Reifenrecycling: Wenn sich Kreise nachhaltig schließen

2022-09-10 11:20:24 By : Mr. Reyphon Frank

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Bislang wurden gebrauchte Fahrradreifen verbrannt, wobei die Rohstoffe verloren gehen und klimaschädliches CO2 ausgestoßen wird. Nun entstehen aus gebrauchten Reifen wieder neue – dieser Prozess spart 80 Prozent CO2 ein. 

Die Pyrolyse-Idee entstand unter Studierenden in einer Gartenhütte: Gründer Pascal Klein entwickelte daraus ein Start-up, die Pyrum Innovations AG, das heute an der Börse notiert und Pionier im Pyrolyseprozess ist. Gegründet 2008, wurde 2015 die erste Industrieanlage fertiggestellt, erste Testläufe begannen. Pyrum führt derzeit die einzige Reifen-Pyrolyseanlage weltweit.

1. Vorab: Zerkleinerung: Gebrauchte Reifen werden in vier Stufen geschreddert und getrennt

Resultate: Gummigranulat, Textilfaser und Stahl

2. Pyrolyse: Gummigranulat kommt in den Pyrolyse-Backofen bei 700° unter Sauerstoffausschluss

Gas: versorgt die gesamte Pyrolyseanlage mit Strom (läuft komplett autark)

Öl: geht zu BASF und wird beispielsweise in Textilfasern genutzt

Pyrolysekoks: Weiterverarbeitung zu RCB (recovered Carbon Black) und Wiedereinsatz in neuen Produkten.

Produziert wird das ganze Jahr hindurch. Während viele Altersgenossen die Nächte durchfeierten, schraubten die Studierenden verstopfte Leitungen auseinander, wechselten Heizelemente aus und beschäftigten sich mit Details – bis schließlich alles nachhaltig ineinandergriff. Pyrum Innovations gehört wie die Technische Hochschule (TH) Köln und das Unternehmen Emons zu den strategischen Recyclingprozess- und Forschungspartnern des Familienunternehmens Schwalbe, das seit 1973 hochwertige Fahrradreifen entwickelt und produziert.

Die Ralf Bohle GmbH ist mit ihrer Marke Schwalbe Europas Marktführer für Fahrradreifen und -schläuche. Schwalbe setzt bis heute Maßstäbe u.a. mit seinen „unplattbaren“ Marathonreifen, seinen G-One-Gravelreifen und seinen MTB-Reifen Racing Ralph oder Nobby Nic. Das Familienunternehmen beschäftigt in Reichshof in Nordrhein-Westfalen 187 Mitarbeiter:innen, weitere 61 sind in fünf Tochterunternehmen in Europa und Nordamerika angestellt. Gefertigt werden die Fahrradreifen bei Produktionspartner Hung-A in Indonesien und Vietnam. Die beiden Familienunternehmen verbindet nicht nur ein Joint Venture, sondern auch eine fast 50 Jahre währende Freundschaft. 

Die TH Köln, gegründet 1971, ist einer der fünf Standorte ist der Campus Gummersbach, zu dem das Lehr- und Forschungszentrum :metabolon in Lindlar gehört. Dort werden auf einer ehemaligen Hausmülldeponie Konzepte für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft entwickelt. Das Projekt Reifenrecycling und die Arbeit von Prof. Dr. Danka Katrakova-Krüger wurden bereits mit dem Transferpreis der TH Köln ausgezeichnet. Das Familienunternehmen Emons wurde 1928 gegründet. Es bietet mit 3.420 Beschäftigten an 100 Standorten in 16 Ländern Transporte (Straße, Schiene, Luft, See), Verzollung und Logistik. Die Spezialität: Maßgeschneiderte Logistiklösungen („Europalette kann jeder“).

Gerade bei viel höheren Belastungsansprüchen an Fahrradreifen muss die Qualität und Performance die gleiche sein. Es ging bei dem Kooperationsprojekt also nicht um Recycling um jeden Preis – vor allem musste die Qualität der recycelten Materialien dem notwendigen Niveau des Reifenherstellers entsprechen. „Aus diesem Grund wurde so intensiv mit dem Team der TH Köln und Sebastian Bogdahn, wissenschaftliche Leitung Schwalbe Recycling System“, sagt Holger Jahn, Schwalbes COO. Prof. Dr. Christian Malek, Experte Hochtemperaturtechnik/ Pyrolyse, und das Team um Sebastian Bogdan wirkten dabei proaktiv an der Entwicklung des Fahrradreifen-Recyclingprozesses mit, um mittels Pyrolyse hochwertiges rCB aus dem Gummigranulat gebrauchter Reifen zu erzeugen. 

Prof. Dr. Katrakova-Krüger erforscht in ihren Materialstudien, ob und wie man mit dem rCB in der passenden Gummimischung wieder hochwertige Fahrradreifen produzieren kann. Für ihre Forschungsarbeiten erhielt sie den Transferpreis der TH Köln für das Forschungsprojekt zum Fahrradreifen-Recyclingprojekt.

Die Kooperationspartnern entwickelten weltweit als Erste einen innovativen und ganzheitlichen Reifenrecyclingprozess. Doch von der Idee zum Recycling war es ein langer Weg: 1993 wurden Fahrradreifen zu Gummimatten für Fachhandel downgecycelt. Technisch war zum damaligen Zeitpunkt nicht mehr möglich. Zum ersten Ansatz gehörte es, gebrauchte Fahrradreifen nicht zu verbrennen, sondern wiederzuverwerten. Dann folgte 2015 der Start des Schlauchrecycling-programms: Hung-A Produktionsleiter Jong Soo Kim entwickelte den Devulkanisierungsprozess, um recycelte Schläuche wiederzuverwerten (bis heute verfügbar in 5 Ländern, 2500 Händler, ca. 7 Millionen recycelte Schläuche). Dadurch konnte 80 Prozent Energie eingespart werden. 

In jedem Standard-Schlauch des Unternehmens findet sich ein 20-prozentiger Recyclinganteil. 2022 erfolgte der Start des Schwalbe Reifenrecyclings in Deutschland. Bislang nehmen bereits ca. 500 Händler mit eigens entwickelter Reifenrecyclingbox daran teil (im ersten Schritt ausschließlich in Deutschland).

Ich danke Steffen Jüngst für die Hintergrundinformationen.

Freie Publizistin und Autorin, Nachhaltigkeitsexpertin, Dr. Alexandra Hildebrandt

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