Tod und Technik

2022-07-22 09:33:00 By : Mr. HAIFENG ZHU

Im US-Bundesstaat Georgia befindet sich der größte Auto-Schrottplatz der Welt. Über 4000 Oldtimer rotten im Wald vor sich hin.

Der größte Auto-Friedhof der Welt hat sich gut getarnt. Vom Highway aus ist nur ein verrostetes Schild zu sehen, dahinter ein Maschendrahtzaun, durch den Gestrüpp wächst. Der Parkplatz: eine Mischung aus Asphalt und Kieselsteinen, bedeckt von Gras und einem überwucherten Minivan.

Gepflegt wirkt das alles nicht, heruntergekommen schon eher. Doch das ist wahrscheinlich Absicht. Denn um nichts anderes geht es an diesem Ort. Verfall. Vergänglichkeit. Tod und Technik.

Die „Old Car City“ ist ein riesiger Oldtimer-Schrottplatz. Sie liegt im US-Bundesstaat Georgia, rund 50 Meilen nördlich der Metropole Atlanta. Seit Jahrzehnten schon gammeln Fahrzeuge aller Marken dort vor sich hin – unter freiem Himmel, einfach so.

Mitten im Wald haben über 4400 Autos ihre letzte Ruhestätte gefunden. Wobei man von Ruhe eigentlich nicht sprechen kann: Die Rostlauben sind so beliebt, dass ständig irgendjemand vorbeischaut, um sie zu fotografieren. Ein abgebrochener Spiegel. Eine zerschmetterte Frontscheibe. Ein durchgerosteter Kofferraum. Welch schöneres Motiv kann sich einem waschechten Auto-Fan bieten!

Der Mann, der mit dieser Sehnsucht sein Geld verdient, heißt Dean Lewis. Mit seinem weißen Bart, der Sonnenbrille und dem Zigarrenstummel im Mund sieht er wie ein Rocker-Opa aus, der es noch einmal wissen will.

Lewis ist 81 Jahre alt, sieht aber deutlich jünger aus. Was wohl daran liegt, dass er als Besitzer von Old Car City nicht allzu viel arbeiten muss. Im Gegenteil. Je verwilderter der Park, je morbider die Kulisse, desto begeisterter sind die Besucher.

15 Dollar verlangt Lewis von allen, die die Wracks allein mit ihren Augen bestaunen möchten; 25 Dollar von denen, die auch fotografieren (was heutzutage natürlich fast alle tun). „Wir halten die Wege frei“, berichtet der Geschäftsmann. „Ansonsten machen wir so gut wie gar nichts.“

Das Gelände hinter dem Büro gibt ihm recht. Überall Laub, Äste, Tannenzapfen. An manchen Stellen reicht das Gras bis zur Hüfte. Dazwischen: Autos, Autos, Autos. Oder das, was davon übrig ist.

Ein 1967 Pontiac GTO sieht aus wie eine mechanische Kuh, weil Farbe und Rost ein gepunktetes Muster bilden.

Ein VW Käfer fristet ohne Kofferraumklappe sein Dasein.

Ein paar Meter weiter steht ein Schulbus, der so alt ist, dass die Eingangsstufen komplett durchgerostet sind.

Andere Fahrzeuge sind als solche kaum noch erkennbar. Der Lack ist schon lange weg, ersetzt durch Rost und Pilze, die sich an der Hülle zu schaffen machen. Bei manchen wächst ein kompletter Baum durch den Innenraum, während andere dezenter verrotten: eine Spinnwebe hier, ein zerschmetterter Tacho da.

Über dem Auto-Friedhof liegt ein merkwürdiger Duft, eine Kombination aus Wald und Werkstatt. Harz, Gummi, Metall. Und Motoröl. Dass der Geruch keine Einbildung ist, zeigt sich beim genaueren Hinsehen. Immer wieder sind Ölflecken zu sehen, die sich auf dem Waldboden abzeichnen. Mit dem Ablassen von Flüssigkeiten nimmt es in Old Car City offenbar niemand so genau.

Umweltgesetze? Behördliche Auflagen? „Zum Glück nicht“, sagt Lewis. „Bis jetzt hat sich noch niemand beschwert.“ Macht er sich keine Sorgen ums Grundwasser? Lewis zuckt mit den Schultern. „Ist doch nur ein bisschen Öl.“

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Rund 2600 verschiedene Modelle tummeln sich in der Old Car City. Keines ist jünger als 46 Jahre. „Alles, was nach 1970 kommt, interessiert mich nicht“, sagt Dean Lewis. Es seien schließlich die Klassiker, die die Leute sehen wollten. Aus aller Welt kämen die Menschen herbeigeströmt, um die ungewöhnliche Sammlung zu bestaunen.

„Manche Fotografen verbringen hier mehrere Tage“, so Lewis. „Und auch das Fernsehen ist ständig da. NBC, ABC, Disney, Fox – letztens haben sie sogar eine Folge von The Walking Dead gedreht.“

Was seine Auto-Sammlung wert ist, will Lewis nicht verraten. Angeblich weiß er es auch nicht genau. „Aber ich habe immer eine Schrotflinte unterm Schreibtisch, falls irgendjemand versucht, was zu klauen.“ Schon oft seien nachts Metalldiebe vorbeigekommen, um Stoßstangen, Kühlergrills oder Motorhauben zu entwenden.

„Denen geht’s doch nur ums schnelle Geld“, empört sich der Auto-Liebhaber. „Ausschlachten und verkaufen, nichts anderes wollen diese Jungs.“ Lewis, der gemütliche Rocker-Opa, wird nun zornig. „Wenn ich die kriege, würde ich sie erschießen. Nein, ich würde ihnen die Augen ausstechen. Das wäre die bessere Strafe.“

So schnell der Wutausbruch kam, so schnell hat sich der Schrottplatz-Besitzer wieder unter Kontrolle. „Es ist einfach so, dass meine Eltern sehr hart arbeiten mussten, um all das aufzubauen“, schiebt er hinterher. Sie hätten 1931 ihre ersten Autowracks erworben, um Ersatzteile weiterzuverkaufen. „Kein einfaches Leben“, sagt Lewis. „Sie besaßen eine kleine Tankstelle und lebten in der Hütte dahinter. Dass der Schrottplatz einmal so wertvoll werden würde, hätten sie nie gedacht.“

Als Lewis das Gelände erbte, dachte auch er zunächst ans schnelle Geld. „Es gibt viele Leute, die solche Autos restaurieren und damit durch die Gegend fahren wollen“, sagt der 81-Jährige. „Damit hätte ich ordentlich was verdienen können.“

Doch dann habe er an den Chevrolet Monte Carlo gedacht, den seine Mutter als Neuwagen gekauft hatte. „Den konnte ich einfach nicht weggeben. Und die anderen Autos auch nicht.“

Seither baut Lewis die Kollektion immer weiter aus. Selbst Elvis Presleys letztes Auto, ein Lincoln Continental Mark V, gehört inzwischen zum Inventar. Es ist eine von wenigen Karosserien, die nicht bei Wind und Wetter draußen stehen, sondern in einer geschützten Halle. Poliert ist jedoch auch Elvis‘ Auto nicht. Es ist eingestaubt und bedeckt mit leeren Cola-Dosen.

Bereut hat Lewis seine Entscheidung nie. Immer mehr Firmen nutzen den Autofriedhof, um ihre Produkte fotografisch ins Szene zu setzen. Ganz zu schweigen von zahlreichen Akt-Kalendern, die auf dem weitläufigen Gelände entstanden sind.

Die Herausforderung besteht eher darin, den Überblick zu behalten. Wo muss der Rasen gemäht werden? An welcher Stelle könnte ein Hinweisschild helfen? Wie stellt man Schnappschüsse für Facebook?

Zum Glück muss sich der ältere Herr nicht alleine mit solchen Fragen beschäftigen. Zur Seite stehen ihm sein Assistent Ray und „Fast Eddie“, der sogar einen eigenen Youtube-Song über die Old Car City komponiert hat. Doch auch diese beiden Helfer haben ihren 70. Geburtstag schon länger überschritten.

Es stellt sich die Frage, was mit dem Auto-Friedhof in Zukunft geschehen wird. „Ich bekomme immer wieder Anfragen, das komplette Anwesen zu verkaufen“, erzählt Lewis. „Aber das mache ich nicht. Dieser Ort ist mein Leben.“

Was passiert, wenn sich der rüstige Autofan doch irgendwann zur Ruhe setzt? „Darüber denke ich schon nach“, sagt Lewis. Sowohl sein Sohn als auch seine Tochter seien interessiert daran, das Geschäft weiterzuführen. Er überlegt kurz, bevor er sich eine neue Zigarre anzündet. „Aber warum sollten sie das? Ich gehe schließlich niemals in Rente.“

Der Text wurde zuerst in der Süddeutschen Zeitung veröffentlicht und behutsam aktualisiert.

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Steve Przybilla (Jg. 1985) ist freier Journalist. Zu seinen Schwerpunkten gehören USA-Reportagen sowie Mobilitäts- und Datenschutz-Themen. Seine Texte erscheinen u.a. in der Süddeutschen Zeitung, der NZZ und bei FAZ Quarterly.

„Amerika ist wunderschön—wenn nur die Amerikaner nicht wären.“ Als Steve Przybilla seinen ersten USA-Flug buchte, fasste ein Reisebüro-Mitarbeiter das Land mit genau diesem Satz zusammen.

Das Erlebnis ist lange her, das Reisebüro längst geschlossen. Was geblieben ist, ist Steves unstillbare Neugier auf dieses verrückte, unbekannte, uns Europäern oft fremde und gerade deswegen so faszinierende Land. Seit 15 Jahren bereist Steve für verschiedene Medien (u.a Süddeutsche Zeitung, Neue Zürcher Zeitung, Spiegel online) als Reporter die USA.

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