Zweite Chance für „Problempferde“: Sophie Graf zähmt die ganz Wilden

2022-09-03 08:46:28 By : Ms. Tinn Wu

Sophie Graf (32) aus Dithmarschen hat ein Faible für Problem-Pferde. Aber auch Pferde mit Gesundheitsproblemen kommen zu ihr. Denn sie gibt niemanden auf. pferde.de sprach mit ihr über zweite Chancen und warum jeder Erfolg ein Glücksgefühl ist.

Wenn Sophie Graf morgens in der Küche steht und den ersten Kaffee trinkt, blickt sie aus dem Fenster „und dann stehen sie da, meine Pferde“, sagt sie lachend. „Ich lebe wirklich den ganzen Tag mit ihnen, alles dreht sich bei mir um Pferde.“

Wann genau ihre tierische Leidenschaft begann, weiß sie nicht. „Schon als Kind habe ich mich im Urlaub auf jedes Tier gestürzt. Egal, ob Hund, Katze, Pferd oder Schwein – es gibt ganz viele Fotos von mir mit Tieren.“ Mit sechs Jahren saß sie dann zum ersten Mal im Sattel. Und seitdem hat sie das Pferde-Virus. „Es ging ganz klassisch weiter: Ich hatte Unterricht, eine Reitbeteiligung – und mit elf Jahren bekam ich mein erstes Pferd.“

Damals besucht sie auch eine Show mit Monty Roberts, dem Pferdeflüsterer. „Ich wusste sofort: Das ist es“, erinnert sie sich. Nach der Schule geht sie nach Kalifornien, lässt sich bei ihm ausbilden.  Zurück in Deutschland übernimmt sie den Hof der Eltern in Schmedeswurth in Dithmarschen – und macht daraus ein Pferdezentrum. Ihre große Leidenschaft dabei: Iberer. „Portugiesen, Spanier – ich liebe diese Pferde einfach. Ich finde, sie sind die Border Collies unter den Pferden. Sie sind sehr menschenbezogen – und unglaublich eifrig. Sie stehen am Tor, gucken Dich an und scheinen zu sagen: ‚Komm, lass‘ uns was machen!‘“

 Mit ihrer Leidenschaft für die südländischen Pferde ist sie nicht allein. Im Gegenteil: „Sie boomen bei uns“, weiß Sophie Graf. „Die Leute lieben zum Beispiel den bequemen Sitz, für den Iberer bekannt sind.“ Doch das bringt auch Probleme mit sich, so die Expertin: „Viele Menschen wissen gar nicht, was sie sich da in den Stall holen. Die Pferde werden oft nach Optik gekauft“, erklärt sie. „Wenn ich mir einen Iberer zulege, muss ich mich nicht wundern, dass dieser den ganzen Tag laufen will. Das ist seine Natur.“

Dazu kommt noch etwas: „Seien wir ehrlich: Tolle Pferde bleiben in Spanien – oder werden für viel, viel Geld verkauft. Die meisten Pferde, die zu uns kommen, landen hier, weil sie für die spanische Arbeit nicht gemacht sind.“ Das ist nicht grundsätzlich schlecht – nur sollten die neuen Besitzer das einfach im Hinterkopf haben. „Iberer haben ganz viel Temperament und Arbeitswillen wodurch sie sehr schnell über die Uhr gedreht werden können.

Mit fatalen Folgen – für Pferd und Reiter. Das zeigt auch die Geschichte von El Torro. „Seine Reiterin stürzte so schwer, dass sie auf der Intensivstation landete“, erzählt Graf. So kam der Spanier zu ihr. „Ich sollte ihn trainieren.“ Leichter gesagt als getan. „Er war für den Stierkampf gezüchtet und benahm sie auch wie ein Stierkämpfer. Er ging einfach auf alles los.“

Trotzdem hat sie sich sofort in ihn verliebt. „Ich wusste: Er ist ein Rohdiamant. Und ich wollte ihn zum Glänzen bringen.“ Ihr Vorteil: Sie kennt seine Vorgeschichte. „Er hat nie wirklich eine Beziehung zu Menschen aufgebaut, weil er nie lange irgendwo blieb. Er kam aus Spanien zum Händler und dann zu seiner Besitzerin – bis er sie schon nach kurzer Zeit ins Krankenhaus brachte.“

Bei Graf lernt er zum ersten Mal, dass Menschen Zeit für ihn haben. „Ich habe ganz viel Vertrauensarbeit mit ihm gemacht, also Bodenarbeit und Spaziergänge mit ihm unternommen. In den ersten sechs Monaten bin ich ihn gar nicht geritten. Und dann sind wir erst einmal nur ausgeritten.“

Während El Torro langsam Vertrauen zu seinem Menschen aufbaut, bleibt er mit Artgenossen schwierig. „Sein Sozialverhalten war tatsächlich das größere Problem. Graf lässt ihn kastrieren, damit der Testosteronspiegel sinkt. „Trotzdem wollte er selbst durch einen Doppelzaun auf die Pferde auf der Nachbarweide los.“

Die Wende bringt eine Welch-Stute: Klein, sehr lieb – „aber eine totale Führungspersönlichkeit“, sagt Graf lachend. „Mit ihr wollte ich es probieren. Die beiden kamen auf einen 20 mal 40 Meter großen Auslauf. Und natürlich wollte El Torro direkt auf sie zugehen. Aber sie hat sich umgedreht und in seine Richtung ausgeschlagen. Mit dem Gegenwind hat er nicht gerechnet und hat sofort Abstand gehalten. Nach kurzer Zeit fand er sie ganz toll.“ Heute steht er mit zwei Stuten zusammen auf der Weide. „Und er ist einfach zauberhaft mit ihnen.“ Für sie ist El Torro der Beweis, dass zweite Chancen sich immer lohnen: „Er gibt mir jeden Tag so viel zurück.“

Heute ist El Torro nicht mehr wieder zu erkennen: Freundlich – und immer aufmerksam. „Er kann kleine Kunststücke und ist auf dem besten Wege ein richtiges Verlasspferd zu werden.“ Und er ist nicht das einzige Pferd, das bei Graf ein neues Zuhause gefunden hat. Dabei sind viele Pferde mittlerweile auf Zeit bei ihr. Denn neben dem Training wird Reha bei ihr heute großgeschrieben. „Das war nicht geplant, hat sich im Laufe der Jahre so entwickelt“, erzählt Graf. „Es fing damit an, dass jedes Pferd, dass zu mir kam, einmal komplett durchgecheckt wurde. Zahnarzt, Osteopath, Schmied, Sattler – alles wird bei mir immer erst einmal genau untersucht. Erst danach beginnt das Training.“

Dabei merkt sie, wie wichtig Osteopathie ist – und macht selbst eine Ausbildung zur Tier-Osteopathin. Dann spielt der Zufall mit: „Ich bekam einen Wallach aus schlechter Haltung. Nach drei Tagen ging es ihm immer schlechter. Eine Bronchoskopie zeigte dann: Er hat Asthma. Also habe ich für ihn einen Extra-Stall gebaut, mit Gummimatten, ohne Stroh, ohne Heu. Da fegt auch keiner vor den Boxen. Dadurch gibt es keinen Staub und keine Schimmelsporen.“ Und die gute Nordsee-Luft hilft bei der Heilung auch mit.

Das spricht sich rum. Erst bringt eine Freundin ihr Pferd zu Sophie, mittlerweile kommen aus ganz Deutschland Pferde zur Reha zu ihr. „Jedes Pferd hat sein ganz eigenes Programm. Einige müssen drei Mal am Tag inhalieren, andere haben eine Allergie, die bislang nicht erkannt wurde.“ Sogar Pferde, die Tierärzte aufgegeben hatten, kamen zu ihr – wie Flecki, ein deutsches Reitpony. „Bei ihm haben wir festgestellt, dass er eine Heu-Allergie hat. Heute bekommt er Heulage und die Haltungsform wurde auf ihn zugeschnitten – nun geht es ihm rundum gut.“

Auch die Stute Sunshine konnte Graf retten. Sie kam mit akuter Atemnot zu ihr, war total abgemagert. Erst wurde sie untersucht, dann bekam sie eine Lösung aus Cortison, Sole und Schleimlöser. „Sie ist gegen alles allergisch, gegen das ein Pferd nicht allergisch sein sollte: Stroh, Schimmelpilze, Pollen“. Heute geht es ihr wieder gut – und sie frisst auch wieder mit Begeisterung.

Für Sophie Graf sind diese Momente das größte Glück: „Wenn ich sehe, wie Pferde wieder aufblühen, dann ist das der beste Lohn für meine Arbeit.“

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